Onlinebeitrag

Stand der Dinge

Je höher der Klimaschutz auf der Agenda von Gesellschaft und Politik steht, desto wichtiger werden Effizienz und der nachhaltige Einsatz von Ressourcen auch in der produzierenden Industrie. Ein Gespräch über Fortschritte und Rückschläge auf dem Weg zu einer klimaneutralen Produktion

Die Staatengemeinschaft will den Ausstoß von CO2 in den nächsten Jahren drastisch reduzieren. Große Automobilkonzerne haben die Abkehr von Verbrennermotoren erklärt, und auch die Bauindustrie muss sich klimaneutraler aufstellen. Geht das fossile Zeitalter dem Ende zu?

Nico Hanenkamp: In der Wahrnehmung der breiteren Öffentlichkeit wird dieser Weg jetzt beschritten. Tatsächlich hat er aber schon vor zwei Dekaden begonnen. Nehmen wir das Beispiel von Deutschland, wo schon jetzt gut 40 Prozent des Energiebedarfs regenerativ gedeckt werden. Tatsächlich ist das postfossile Zeitalter längst angebrochen. Die drängende Frage unserer Zeit lautet, wie die absolute Klimaneutralität in den kommenden 20 Jahren konkret erreicht werden soll.

Stephan Nell: Fossile Brennstoffe liefern eine hohe Energiedichte, sind einfach zu lagern und kostengünstig in der Handhabung. Deshalb glaube ich, dass sie bei bestimmten Anwendungen weiter Sinn machen. Bei einem Flugzeug etwa sehe ich den Einsatz von Batterien aufgrund des hohen Gewichts und der dadurch reduzierten Nutzlast nicht. Für kleine Pkw im Stadtverkehr ist der Elektromotor hingegen sinnvoll. Wir müssen bei Energiequelle und Anwendung technikbasiert differenzieren und diskutieren. Mich stört bei der aktuellen Klimadebatte, dass oft dogmatisch und nicht sachlich argumentiert wird.

Gabriele Maurer: Ich finde beide Perspektiven richtig: Ja, das fossile Zeitalter geht zu Ende, aber fossile Brennstoffe werden weiter ihren Platz haben, wenn dies große Vorteile gegenüber anderen Energieformen bietet. In jedem Fall ist seit Langem ein organisches Wachstum bei den regenerativen Energien zu beobachten. In manchen Bereichen werden elektrische Batterien stärker zur Anwendung kommen, woanders werden es Brennstoffzellen sein. Gleichzeitig wird die Förderung von fossilen Brennstoffen immer teurer, und ihr Vorkommen ist letztlich auch begrenzt. Je früher wir technisch gleichwertige Lösungen mit alternativen Energien entwickeln, desto besser.

Frau Maurer, die Jungheinrich AG ist ein international führendes Unternehmen der Intralogistik. Inwieweit haben Sie durch Ihre Produkte Einfluss auf die Klimabilanz Ihrer Kundschaft?

Gabriele Maurer: Unsere Kunden bei ihren Klimazielen zu unterstützen steht im Zentrum der Strategie von Jungheinrich. Unsere Fahrzeuge, etwa Gabelstapler, werden mit elektrischen Batterien betrieben, wodurch unsere Kunden einen besseren CO2-Fußabdruck haben, als wenn sie Geräte mit Verbrennermotor einsetzen würden. Wenn Ökostrom verwendet wird, können Lager schon jetzt CO2-neutral arbeiten. Hinzu kommt, dass wir das Design stetig verbessern, um Lithium-Ionen-Batterien besser zu verbauen, wie bei der neuen Powerline-Serie. Die Fahrzeuge benötigen damit weniger Platz, und unsere Kunden können ihre Lager effizienter gestalten.

« SMART VERNETZTE MASCHINEN FÜHREN ZU EINER EFFIZIENTEREN PRODUKTION »
Stephan Nell

Herr Hanenkamp, Effizienz ist Ihr Stichwort, denn Sie beschäftigen sich als Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg hauptberuflich mit dem effizienten Einsatz von Energie und Ressourcen. Wo besteht da in der Industrie noch Nachholbedarf?

Nico Hanenkamp: Das Thema ist für die Industrie nicht neu, und hier hat sich in den letzten zehn Jahren auch viel getan. Wo aber meiner Meinung nach noch Nachholbedarf besteht, ist bei der grundsätzlichen Einsicht, dass Ressourcen nicht unlimitiert zur Verfügung stehen. Viele Unternehmen haben bislang nur wenig darauf geachtet, was mit ihren Produkten über den gesamten Lebenszyklus hinweg betrachtet geschieht. Das Thema der Kreislaufwirtschaft wird in den Unternehmen künftig eine größere Rolle spielen als bisher. Gleichzeitig müssen die Gesetzgeber entsprechende Rahmenbedingungen schaffen.

Gabriele Maurer: Das ist grundsätzlich richtig und liegt natürlich immer auch im wirtschaftlichen Eigeninteresse: Wenn wir die Möglichkeiten haben, aus Vorgängerprodukten etwas wiederzugewinnen, führt das auch zu besseren Neuprodukten.

Herr Nell, wie geht die UNITED GRINDING Group, die mit ihren Maschinen ja wesentlich zum Erfolg ihrer Kundschaft beiträgt, mit dem Thema Ressourceneffizienz um?

Stephan Nell: Wir haben den Vorteil, dass wir seit über 100 Jahren keine Verbrenner mehr einsetzen. Nein, im Ernst, alle unsere Maschinen sind elektrisch angetrieben. Wer für die Produktion Ökostrom bezieht, kann hier bereits CO2-neutral arbeiten. Zudem sind alle unsere Marken mit dem renommierten Umweltsiegel „Blue Competence“ ausgezeichnet, für welches die Effizienz nachweislich stetig verbessert werden muss. Auch der von Herrn Hanenkamp angesprochene Punkt ist für uns von großer Wichtigkeit: Wir möchten den Lebenszyklus vom Anfang bis zum Ende begleiten und bieten unseren Kunden an, bestehende Maschinen nachzurüsten. Das reicht von der Revision bis hin zum Retrofit, was ein Update der Steuerung beinhalten kann. Auch ein Retooling oder Prozessverbesserungen tragen zur Reduktion des Ressourcenverbrauchs bei. Des Weiteren leisten Schleifmaschinen, und das möchte ich gar nicht nur auf unsere Marken beschränken, allgemein einen wichtigen Beitrag zur Effizienz, weil sie hohe Präzision und Oberflächengüten ermöglichen und somit Gesamtsysteme effizienter machen.

Neue Technologien sind ein wichtiger Punkt, Herr Hanenkamp, welche halten Sie für besonders geeignet, den Maschinenbau in den kommenden Jahren ressourceneffizienter zu machen?

Nico Hanenkamp: Auf jeden Fall das Thema Wasserstoff und Brennstoffzellen. Ein Hauptproblem der erneuerbaren Energien bleibt die Speicherung von Strom, und hier kann Wasserstoff einen Beitrag leisten, auch wenn die Technologie sich erst noch weiterentwickeln muss. Auch die weitere Digitalisierung bleibt wichtig und darauf aufbauend die künstliche Intelligenz. Eine Technologie, die meiner Meinung nach bisher wenig diskutiert wird, die aber viel Potenzial hat, sind Fabriken, die auf Gleichspannungsbasis statt mit Wechselstrom funktionieren. Schließlich erzeugt auch Fotovoltaik Gleichstrom und ließe sich so besser integrieren.

Gabriele Maurer: Ich glaube darüber hinaus, dass die Batterieforschung noch nicht an ihre Grenzen gestoßen ist. Lithium-Ionen-Akkus haben uns im Vergleich zu Blei-Säure-Batterien ganz neue Möglichkeiten bei der Verbauung gegeben, und die Effizienz ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Außerdem lassen sich Batterien aus Fahrzeugen in einem weiteren Lebenszyklus auch noch als stationäre Speicher für Strom verwenden.

Stephan Nell: In unserer Branche hat die technische Entwicklung dazu beigetragen, dass die Maschinen sparsamer und effizienter arbeiten. Mit 3D-gedruckten Kühlschmierstoffdüsen zum Beispiel kann der Energieverbrauch beim Schleifen drastisch reduziert werden. Optimierungspotenzial besteht durch die Digitalisierung noch in der Produktion bei der Prozessabfolge. Da sind wir jetzt mit unserer neuen Hard- und Softwarearchitektur C.O.R.E. markenübergreifend gut aufgestellt – gleichzeitig steht die Datensicherheit immer an erster Stelle. Vertrauensvoller Umgang mit Kundendaten ist für uns nichts Neues, nur die Art, wie sie zur Verfügung gestellt und gespeichert werden.

« ICH SEHE IN DER ZUKUNFT KEINE MENSCHENLEERE FABRIK »
Nico Hanenkamp

Wenn wir über neue Technologien und vor allem Automatisierung sprechen, haben viele Menschen die Sorge, dass Arbeitsplätze bedroht sind. Verstehen Sie das?

Nico Hanenkamp: Ich sehe in der Zukunft keine menschenleere Fabrik, deswegen finde ich diese Sorge nicht berechtigt. Das Thema hatten wir schon vor über zehn Jahren, als die computergestützte Fabrikation diskutiert wurde – und da hat sich das auch nicht bewahrheitet. Was ich aber sehe: Je mehr manuelle Arbeit von Robotern übernommen wird, desto wissensintensiver wird die Rolle des Menschen.

Gabriele Maurer: Ich glaube eher, dass die Automatisierung bestimmter Arbeiten – etwa ein schweres Bauteil zu bewegen – die Mitarbeiter länger im Beruf hält und auch ältere Menschen besser integrieren kann. Das Mitdenken sozialer Konsequenzen von Veränderungen gehört immer dazu – übrigens auch beim Klimaschutz.

« DIE KLIMADEBATTE MUSS SACHLICH UND TECHNIKBASIERT GEFÜHRT WERDEN »
Stephan Nell

Da schließt sich der Kreis wieder zum Klimaschutz. Herr Hanenkamp, was ist in diesem Zusammenhang die Aufgabe der Politik?

Nico Hanenkamp: Die Politik muss die gesamte Gesellschaft im Blick haben und deshalb auch Rahmenbedingungen setzen und Ziele vorgeben. Bei der Umsetzung sollte aber den Unternehmen ein gewisser Spielraum gelassen werden, am besten im Zusammenspiel mit wirtschaftlichen Anreizen. Ich glaube, alle haben inzwischen verstanden, dass die Erwärmung unseres Planeten die größte Herausforderung der Menschheit ist und wir die CO2-Emissionen drastisch reduzieren müssen.

Stephan Nell: Ein schönes Schlusswort, erlauben Sie mir eine Anmerkung dazu: Der Klimawandel ist ein globales Problem, für das es auch globale Lösungsansätze braucht. Es bringt wenig, wenn wir in Deutschland oder der Schweiz immer strengere Regeln einführen, aber dann in anderen Teilen der Welt nichts unternommen wird. Viel besser wäre es aus meiner Sicht, die heute bereits vorhandenen technischen Möglichkeiten in allen Ländern einzusetzen. Dazu müssten sich die Politiker mal Gedanken machen.

Im Gespräch

GABRIELE MAURER
Als Leiterin der Abteilung für Nachhaltigkeit und Umwelt bei der Jungheinrich AG, einem weltweit führenden Unternehmen für Intralogistik, ist Gabriele Maurer für die Einhaltung von Umwelt- und Qualitätsstandards verantwortlich.

NICO HANENKAMP
Nico Hanenkamp ist Professor für ressourcen und energieeffiziente Produktionsmaschinen an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er lehrt und forscht zum effizienten Einsatz von Ressourcen in der Industrie.

STEPHAN NELL
Seit 2012 führt Stephan Nell als Chief Executive Officer die UNITED GRINDING Group. Er kam 2003 als Verkaufsleiter Europa zu STUDER und war hier von 2007 bis 2011 Vorsitzender der Geschäftsführung.

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