NEW WORK IST MEHR ALS NUR EIN KICKERTISCH
Wie wirken die neuen Ansprüche von Arbeitnehmern auf Maschinenbau-Unternehmen? Und was tun diese, um High Potentials für sich zu gewinnen? Ein Gespräch.
Herr Poklekowski, suchen Sie händeringend nach Mitarbeitern? Gibt es überhaupt Engpässe und wenn ja, in welchen Bereichen?
Heinz Poklekowski: Wir haben eine Fluktuationsrate von knapp unter fünf Prozent und eine Ausbildungsrate von sechs Prozent. Den Schleifer, den Verfahrenstechniker, den Anwendungstechniker, die kriegen Sie am Arbeitsmarkt nicht. Die müssen wir selbst ausbilden. Unsere große Herausforderung ist es daher, Auszubildende zu finden, die wir langfristig binden können. Doch gerade bei den Software-Entwicklern, den Elektrotechnikern, in den Ingenieursberufen, aber auch im Einkauf und in der Supply Chain sind die Qualität und die Quantität von Bewerbungen gesunken. Der Arbeitsmarkt hat sich gedreht und wir können heute als Unternehmen nicht mehr von einer hohen Anzahl an Bewerbungen profitieren. Dennoch sind wir bis heute in der glücklichen Lage, unsere Wachstumspläne umsetzen zu können.
Wie wirken sich Anforderungen wie Automatisierung, Digitalisierung, aber auch Internationalisierung auf die gesuchten Bewerber-Profile aus?
Martin Hoffmann: Generell ist es im Maschinenbau gerade sehr schwierig, gute Servicetechniker zu finden. Der Grund: die Leute reisen zwar privat mehr denn je – aber sie tun es beruflich sehr ungerne, das widerspricht ihrer Vorstellung der Work-Life-Balance.
Poklekowski: Dass die Mitarbeitenden geschäftlich weniger reisen wollen, stellen wir seit vielen Jahren fest. Wir versuchen mit geeigneten Maßnahmen zu reagieren, etwa mit einem rotierenden System im Customer- Care-Bereich in einem unserer Unternehmen. Der Servicetechniker stimmt mit seinem Vorgesetzten ab, wann er reist und wann er im Innendienst tätig ist. Wir müssen mit den sich ständig wandelnden Ansprüchen unserer Mitarbeitenden umgehen.
In der Werkzeugmaschinen-Branche sprechen wir auch oft von Erfahrungs- und Traditionswissen, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Wie weit setzen sich hier neue Arbeitsformen durch?
Ralph Bruder: Es ist sicher eine Branche, über die viele denken, dass sie nichts mit New Work zu tun hat. Die vermutet man eher in der Wissensarbeit, in kleineren Einheiten oder Agenturen. Das ist was ganz anderes in einem großen, produzierenden Unternehmen. Ein Teil der Diskussion um neue Arbeitsformen betrifft die Flexibilität von Arbeitsorten und Arbeitszeit – und das ist sehr relevant, gerade für Servicekräfte. Ein zweiter Aspekt sind die schicken neuen Arbeitsorte, flexible Raumkonzepte, ein Tischkicker... Das findet man heute in Produktionsbetrieben noch selten, aber auch da hat sich die Welt geändert. Der dritte Punkt ist der Anspruch an Selbsterfüllung und Partizipation. Das ist das, was die traditionellen Branchen immer schon machen. Der vierte Bereich wäre für mich die Frage nach der Sinnstiftung. Diese vier Elemente sind im Werkzeugmaschinenbau leicht identifizierbar. Die Mitarbeiter haben eine hohe Sinnstiftung, sind stark verbunden mit dem Unternehmen und stolz auf ihre Arbeit. Damit verfügt etwa die UNITED GRINDING Group schon über all das, was junge Unternehmen erst anstreben.
Ist es wirklich so, dass die Generation Y mit dem ersten Bewerbungsgespräch diese Ansprüche an New Work in die Unternehmen hineinbringt?
Poklekowski: Wir können uns dem Wertewandel in der Gesellschaft nicht entziehen. Sowohl bei den Bewerbenden als auch bei den Mitarbeitenden beobachten wir ein erhöhtes Interesse an den Arbeitsbedingungen. Wir nehmen die Herausforderung an und bieten hochinteressante Projektarbeit, die interdisziplinär funktioniert. Auch Teilzeit, Homeoffice – alles Themen, die in unseren Unternehmen funktionieren und geregelt sind. Dazu kommen die Ausstattung unserer Büros und die Arbeitsmittel, die bei uns auf einem hohen Niveau sind.
Hoffmann: Wenn jemand mal bei UNITED GRINDING gewesen ist, dann weiß er das. Aber wie finden die Leute zu Ihnen – das ist die Herausforderung, die wir auch bei unseren Kunden im Maschinenbau wahrnehmen. Denn diese Qualitäten sind auf den ersten Blick nicht sichtbar oder werden mit diesen Unternehmen nicht in Verbindung gebracht. Da reicht es nicht, wenn Sie eine gute Homepage oder ein schönes Magazin herausgeben, junge Leute erwarten eine direkte Ansprache. Dem müssen wir auch im Recruiting gerecht werden.
Welche Rolle spielen Ehrlichkeit und Authentizität?
Hoffmann: Bei dem Versprechen der Flexibilität muss man absolut ehrlich sein und darf keine falschen Angaben machen. Die völlige Flexibilität gibt es in manchen Branchen einfach nicht. Was UNITED GRINDING anbietet, ist eine hohe Stabilität. Das geht vielleicht zu Lasten der völligen Flexibilität – aber ich denke, das lässt sich in Einklang bringen, weil die Generation Y auch eine gewisse Stabilität will. Und wenn Sie das ins Verhältnis setzen können, dann haben Sie ein interessantes Angebot gerade für diese Menschen.
Wie tritt die UNITED GRINDING Group bei Bewerbern auf: als Mittelständler oder Konzern? Sie sind ja beides...
Poklekowski: Es ist tatsächlich eine Mehr-Marken-Strategie. Unsere Konzernmarke UNITED GRINDING Group setzen wir in China und den USA ein, also da, wo es für die Mitarbeitenden von Bedeutung ist, für ein großes Unternehmen zu arbeiten. Auch wenn wir mit der RWTH Aachen oder der ETH in Zürich kooperieren, treten wir als UNITED GRINDING Group mit Erfahrung in der ganzen Breite auf. Wenn wir aber zum Beispiel Auszubildende für den lokalen Arbeitsmarkt der Gesellschaften ansprechen, rekrutieren wir regional und stellen entsprechend die lokalen Unternehmensmarken nach vorn. Da sind wir regional verankert, da kennt man uns, da sind wir ein bedeutender Arbeitgeber.
Hoffmann: Regionalität ist ein wichtiges Thema, gerade für uns im Recruiting. Wir haben in Schwaben zum Beispiel einen komplett anderen Kandidatenmarkt als in Hamburg. Wir tun uns relativ leicht, in Hamburg Ingenieure an Kunden zu vermitteln, weil dort viel weniger Firmen Ingenieure in der Anzahl suchen, wie wir das hier vergleichsweise in Stuttgart haben.
Poklekowski: Hier verzahnt sich unsere Unternehmensvision mit unserem Employer Branding. Wir sind eine internationale Unternehmensgruppe, bestehend aus innovativen, mittelständischen Unternehmen. Unser Employer Branding muss diese beiden Facetten berücksichtigen. Als internationale Unternehmensgruppe mit interessanten Herausforderungen werden wir bei den Berufserfahrenen und Talenten außerhalb unseres regionalen Bekanntheitsgrades noch nicht genug wahrgenommen.
Was wären etwa für einen Software- Entwickler in einem Großkonzern die Argumente, zu UNITED GRINDING zu wechseln?
Poklekowski: Bei einem mittelständischen Maschinenbauer sind die Entscheidungswege kurz und schnell, die Entwicklungsergebnisse der Mitarbeitenden fließen direkt ins Produkt ein und können über den gesamten Produktlebenszyklus betreut werden. Wenn die Mitarbeitenden unser Arbeitsumfeld erlebt haben und realisieren, wie viel sie am Gesamtprozess mitgestalten können, dann schätzen sie diese Gestaltungsmöglichkeiten sehr. Zusätzlich ergeben sich regelmäßig Möglichkeiten, unternehmensübergreifend an internationalen Projekten und deren Umsetzung mitzuarbeiten.
Bruder: Die Chance, neue Sachen zu machen und die Welt kennenzulernen: Das versprechen Großunternehmen den Absolventen. Gute Aufstiegschancen, viel Dynamik, bei gleichzeitiger Stabilität. Der Mittelstand wird dagegen als langweilig empfunden, wenig Wechsel, wenig Internationalität.
Hoffmann: Und dabei ist dort oft mehr Dynamik zu finden, nehmen Sie die Hidden Champions...
Poklekowski: ... und deutlich mehr Internationalität. Und sie können bei uns auch viel schneller aufsteigen.
Thema Internationalität – welche Rolle spielt der hohe europäische Ausbildungsstandard, wenn man Arbeitskräfte in den USA und China sucht?
Poklekowski: Wir haben einen großen Vorteil. Wir haben ein in Europa fest verankertes Ausbildungssystem, das wir teilweise nach China und in die USA exportieren. Hierfür nutzen wir unsere eigenen Serviceakademien, in denen die Mitarbeitenden aus allen Ländern Schulungen durchlaufen. Und in Tschechien haben wir interne Trainee-Programme zur Ausbildung entwickelt. Das sind zwar keine dualen Systeme, aber trotzdem sehr gute, praxisnahe Ausbildungen.
Hoffmann: Wie sieht es mit dem interkulturellen Lernen in die andere Richtung aus? Können wir uns in Europa auch das eine oder andere abgucken?
Poklekowski: Wir haben zum Beispiel eine Maschine für den asiatischen Markt mit einem internationalen Team entwickelt. Asiaten und Europäer haben sich mit ihrem Wissen wechselseitig ergänzt.
Bruder: Was wir ihnen für solche Modelle in der Ausbildung liefern müssen, sind neugierige junge Menschen. Wir machen es nicht zum Bestandteil eines Curriculums, aber wir sagen allen Studierenden, mindestens ein Jahr Auslandsaufenthalt sollte jeder haben. Und dass sie davon ausgehen sollen, immer in interkulturellen Teams zu arbeiten. Das ist Alltag, das ist normal.
Wie wichtig sind heute neben den Hard Skills auch die Soft Skills für den Maschinenbau? Und was bedeutet das für den Nachwuchs?
Hoffmann: Unser jährlicher HR-Report, für den wir stets rund 600 Top-Manager über alle Branchen hinweg befragen, zeigt immer wieder, dass wir beides brauchen, die Hard Skills und die Soft Skills. Essenziell ist, Leute zu haben, die lernfähig und veränderungsbereit sind.
Poklekowski: In unseren Branchen müssen Sie das Erfahrungswissen mit den digitalen Anforderungen zusammenbringen. Das geht nur in einem gemischten Projekt aus erfahrenen und jungen Spezialisten. Deshalb sind Soft Skills heute von erheblich höherer Bedeutung. Nur wenn ich teamfähig bin, kann ich im Projekt mein Wissen zur Verfügung stellen. Nur wenn ich bereit bin, Herangehensweisen zu hinterfragen und Fehler zuzugeben, kann ich lernen. Für die Digitalisierung im Werkzeugmaschinenbau und die entsprechenden Jobprofile bedeutet das: Wir brauchen nicht den Digitalisierungsspezialisten, sondern wir brauchen bestimmte Kenntnisse, die das Team bereichern.
Hoffmann: Diese Resultate sehen wir auch bei unseren Studien. Arbeiten in interdisziplinären Teams gehört zu den gefragtesten Fähigkeiten, neben Lernfähigkeit und Veränderungsbereitschaft.
Bruder: Genau, das mit dem lebenslangen Lernen ist in Deutschland nicht ganz so einfach. Wir kommen aus einer Tradition, die sagt: Diplomingenieur, Siegel drauf, das ist es. Das aufzubrechen und zu sagen, das Lernen ist noch nicht ganz fertig, schafft in Deutschland Unsicherheit. Dabei ist es in den Unternehmen längst so, dass man es „on the job“ hinkriegen muss.
Kinder sind es heute gewohnt, mit Geräten zu sprechen und sinnvolle Antworten zu erhalten. Werden diese Digital Natives nicht einen uneinholbaren Vorteil haben, wenn Maschinen immer intelligenter werden?
Poklekowski: Das Know-how der erfahrenen und die digitale Affinität der jüngeren Mitarbeitenden ergeben zusammen einen hohen Mehrwert. Wir als Arbeitgeber müssen eine Plattform bieten, wo sowohl die Berufserfahrung als auch die Kompetenzen der Digital Natives gleich geschätzt werden und die Arbeitsergebnisse damit positiv beeinflussen.
Hoffmann: Ich glaube auch nicht, dass diese jungen Leute von vornherein eine bessere Chance haben oder die anderen verdrängen werden. Gerade wenn wir mehr Soft Skills brauchen – dazu gehören ja auch Führungs-Kompetenz, Vermittlung zwischen den Disziplinen, Stabilität schaffen, Orientierung geben – dann ist eher meine Generation gefragt, ich bin Jahrgang 1980. Wenn ich neue Mitarbeiter einstelle merke ich, die wollen sehr häufig von mir wissen, was jetzt der nächste Schritt ist. Ich bin in diesem Moment dann Alexa oder Siri (lacht).
Bruder: Gerade im Umgang mit den Maschinen brauchen wir selbstbewusste Menschen, die nicht alles akzeptieren, was die Maschine vorgibt. Oft sehe ich die Einstellung, das digitale Umfeld als gegeben anzunehmen. Dabei braucht es die Erfahrung von gemischten Teams, um es zu gestalten.